Donnerstag, 23. April 2015

Mal aus gegebenem Anlaß ...



Wenn zu diesem Fall jemand etwas Verdächtiges bemerkt hat, auch nach diesem schrecklichen Unfall, zum Beispiel ein auffällig beschädigtes Auto (in einer Werkstatt) oder jemand, der plötzlich nur noch Fahrrad oder Bus fährt etc., der möge sich bitte unter der in den Artikeln angegebenen Telefonnummern melden.

Unsere Rollergemeinschaft ist derzeit echt geschockt. Auch ich persönlich fahre seit gestern irgendwie anders auf den Straßen. So eine Nachricht steckt tierisch in den Knochen. Warum er? Und: Wer kann der/die nächste sein? Und vor allem: Warum?!

Gestern abend wurde bei uns zu Hause deswegen viel diskutiert. So ließen wir die Unfallstatistik des letzten Jahres Revue passieren. Seit Juli 2014 nun drei schwere Unfälle von RollerkollegInnen, dazu kommen drei andere Unfälle, die zum Glück glimpflich verlaufen sind. An einem Roller ist viel Blech, also gibt es meist viel Blechschaden, das natürlich leicht zu ersetzen ist. Einen neuen Arm, ein Bein oder einen neuen Kopf zum Anschrauben kann man im einschlägigen Online-Rollerhandel leider noch nicht bestellen. So bekommt die geliebte Vespa plötzlich einen ganz neuen Stellenwert, nämlich: Total egal, Hauptsache am Leben.

Die Ursache der Rollerunfälle aus unserem Dunstkreis im letzten Jahr ist zu 99,9 % eine genommene Vorfahrt. Beziehungsweise "man wurde nicht gesehen".

Dagegen spricht:
  • Roller müssen auch am Tage mit Licht fahren (einige Autofahrer raffen das nicht mal im Dunkeln). 
  • Sie sind nicht sonderlich schnell (nicht so wie Falschtakter).
  • Sie sind auffällig bunt und breit in der Front dank des Beinschildes.
  • Sie sind oft laut (Laute Auspüffe können Leben retten).
... und sie werden von Fahrern gefahren, die mit dem ganzen Körper den Verkehr miterleben. Da gibt es keine Parkhilfe, die einen mit Gefiepe warnt, daß man zu nah dran ist. Kein integriertes Navi als Orientierungshilfe, keine sprachunterstützte Tankanzeige, nicht mal Blinkergeklicker, geschweige denn, daß der Blinker von selbst ausgeht. Das müssen wir alles selbst überwachen. Auf dem Roller sind wir ständig auf der Hut, ohne uns von Wahrnehmungs-Gehhilfen (sprich: moderner Technik) unserer Sinne zu amputieren. Dies hat uns schon oft den Hals gerettet. Wenn wir auf dem Roller unterwegs sind (oder auf dem Motorrad), dann hören wir, wenn ein Auto von hinten ranrauscht, wir riechen es und wir bemerken sogar eventuell eine Veränderung in der Luft. Wir sind mit vollem Körpereinsatz im Straßenverkehr dabei. Bei Unfällen bedauerlicherweise auch.

Sicher sind viele von uns auch neben dem Rollerfahrer ein Autofahrer und kennen andere Fahrperspektiven. Und daß die C-Säulen der Autos immer breiter werden und immer mehr einen künstlich erschaffenen toten Winkel verursachen, ist klar und unerfreulich. Alles zugunsten der Sicherheit des Fahrers. Autos werden schneller, also muß die Struktur des Käfigs auch breiter und dicker werden, um den Inhalt zu schützen. Mit einer gummibereiften Zündspule wie einen Mini Cooper kommt man da heutzutage nicht mehr weit. Autos dieser Art sind geschaffen für Zeiten, als man sich motorisiert noch beschaulich und stilvoll fortbewegte.

... und als noch 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften als HÖCHST- und nicht als Mindestgeschwindigkeit galt!

Wenn ich so 15 Jahre zurückdenke und mit heute vergleiche, fällt mir auf, daß dank E-Mail und Internet nicht nur das normale Leben rasanter geworden ist, sondern auch die allgemeine Fahrweise. Als ich noch mit meiner original PK 50 XL fuhr, immer schön mit 50 km/h in der Mitte des rechten Bereiches der Fahrbahn, da fuhren die Autos noch geduldig hinter mir. Wenn ich heute mit der PX in der Mitte der Fahrbahn mit 60 km/h fahre, werde ich innerhalb geschlossener Ortschaften waghalsig überholt.

Größer, breiter, schneller: Liegt wohl auch daran, daß Autos heutzutage nicht mehr nur Fortbewegungsmittel sind, sondern auch Statussymbole, fleischgewordene Egoshooter und vor allem gefährliche Waffen. Guckt euch doch mal die Scheinwerferfronten an, wenn sie hinter euch fahren: Wie ein aggressives Raubtier lauern sie mit LED-Kriegsbemalung im Rückspiegel, bereit zum Angriff. Wenn ich so einen hinter mir habe, gehen bei mir gleich die Alarmglocken an. Dies bezieht sich nicht auf alle, doch auf viele Autos, von deren Sorte leider immer mehr produziert werden (weil de Bedarf da ist). Sie sind PS-stark und im Grunde viel zu schnell und technisch so ausgerüstet, daß sie den Fahrer all seiner Sinne berauben. Hinzu kommt, daß die Optik des Wagens oft als Charakterprothese des Fahrers herhalten muß. Nur eine Frage der Zeit, bis was Schlimmes passiert.

Manchmal frage ich mich, wie einige Leute heutzutage ihren Führerschein bekommen. Vergessen sie nach der Prüfung einfach alles Gelernte? Kaum mit Lappen auf der Straße, belächeln viele von denen motorisierte Zweiradfahrer und sehen sie als nicht vollwertig an. Wir Rollerfahrer haben nicht einfach nur einen Autoführerschein gemacht und uns dann in ein vollverkleidetes Gefährt gesetzt, das uns das Denken und sonstige Widrigkeiten abnimmt. Wir mußten bei 50 km/h um eng aufgestellte Hütchen fahren (ja, auch bei Klasse 4 mit der Honda CY), uns schrie der Fahrlehrer schmerzhaft "Eulenkopf!" ins Ohr übers Intercom, wenn wir den Schulterblick vergessen hatten, wir mußten bei Wind und Wetter auf die Straße, wenn es die Fahrstunden verlangten. Und bei Wind und Wetter mußten wir Notbremsungen auf nur zwei Rädern simulieren. Wir passen unsere Fahrweise bei Regen und Schnee an. Wir brauchen kein Cabrio, wir fahren das ganze Jahr "offen" und wissen, wie doll Hagel selbst bei 30 km/h im Gesicht wehtut. Wir setzen uns nicht mit Flip-Flops im Sommer auf den Bock wie die meisten "Geil-ich-habe-meinen-Auto-Lappen-vor-dem-1.-April-1980-gemacht-also-darf-ich-125er-fahren"-Fahrer und heizen halsbrecherisch durch die Botanik. Wir verlassen uns nicht auf den bloßen Blick in den Seitenspiegel wie manche Auto- oder Plastikfuffifahrer, sondern machen den Schulterblick, um den toten Winkel auszutricksen. Als Rollerfahrer fahren wir bewußt und übergeben unser Fahrkönnen nicht einfach elektronischen Relais. Wir fahren auch nicht, um zu heizen, sondern sind mit unseren Vespen ausgesprochene Genußfahrer. Das macht uns entspannt und generell sozial kompatibel, auch im Straßenverkehr.

...und dann kommt so eine Sau und zerstört dieses Credo.

Ist ja derzeit erst nur Mutmaßung, wer oder was den Unfall verursacht hat und/oder Fahrerflucht begangen hat. (Kann auch eine Fahrerin gewesen sein, auch manche Frauen verhalten sich im Straßenverkehr nicht immer korrekt.) Hinzu kommt der Faktor "Alkohol am Steuer", was neuerdings scheinbar wieder mehr und mehr zum Kavaliersdelikt wird, wenn man den Statistiken der Verkehrskontrollen Glauben schenken darf. Man kann von Glück reden, wenn es einem selbst noch nicht passiert ist, daß man im Straßenverkehr einen anderen erwischt hat. Dies möchte man auch niemandem wünschen. In dem Fall weiß man nicht, wie man selbst reagieren würde, wenn man es nicht erlebt hat: 
  • Steht man danach so sehr unter Schock, daß man starr weiterfährt?
  • Oder gibt es Leute, die mutwillig weiterfahren und hoffen, daß der Angefahrene so sehr mit Fallen und Überleben beschäftigt ist, daß er sich nicht das Nummernschild merken kann? 
  • Oder bleibt neben dem Schock doch ein Fünkchen rationales Denken, daß man anhält, schnell zum Handy greift und Hilfe holt? 
Letzeres befreit einen nicht von der Schuld, doch es hilft beiden, dem Fahrer und dem Angefahrenen. Vor allem beweist der Fahrer so, daß er mehr Cojones besitzt als ein feiger Unfallflüchtiger.

Dies alles schwirrte mir seit gestern im Kopf herum, und dies mußte mal gesagt werden.

Wir alle wünschen unserem Rollerkumpel eine gute und schnelle Heilung! Wir drücken ihm und seiner Familie ganz fest die Daumen.

Gedanken von
Vio

Nachtrag: Ermittlungen zufolge war es ein Wildunfall. Diesen hat unser Rollerkollege leider nicht überlebt. Wir sind unendlich betrübt über diesen Verlust.

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